Zu Anfang stehen für mich natürlich die Rezeptsammlungen und Kochbücher, aus denen, mehr als aus allen anderen Quellen, die Zusammenstellung der Gerichte und die Zubereitungsmethoden hervorgehen. Da eine umfassende Bearbeitung sämtlicher noch erhaltener Rezeptsammlungen aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, habe ich mich entschlossen die Rezeptauswahl für die Kochversuche auf deutsche, französische und englische Handschriften des 14. Jahrhunderts zu beschränken. Damit ist zum einen gewährleistet, dass ausreichendes aber überschaubares Material zur Verfügung steht. Außerdem lassen sich so die verschiedenen "Landesküchen" besser vergleichen, da Schriftquellen einer Zeitstufe direkt nebeneinander gestellt werden können. Zuletzt kann meine Arbeit als Vorstufe zur Verfolgung zeitlicher Entwicklungen verwendet werden.
Die älteste deutschsprachige Rezeptsammlung ist das "buoch von guoter spise".[1] Es ist um 1350 entstanden und wurde zusammen mit Texten zu unterschiedlichen Themenbereichen in einem Sammelband - dem sogenannten Hausbuch des Michael de Leone, Protonotar zweier Würzburger Bischöfe - gebunden. Dieses Hausbuch wahr ursprünglich zweibändig.[2]
Nach dem erhaltenen Verzeichnis im zweiten Band enthielt der erste, leider verlorene, Werke zu Tugend- und Lasterlehre sowie verschiedene weitere Lehrgedichte, unter anderem auch zum richtigen Benehmen bei Tisch, Sprüche zu den Sieben Freien Künsten und den vier Elementen, sowie ein Buch zur Veredelung von Obstbäumen.
Der zweite Band enthält eine Sammlung liturgischer Texte, überwiegend in Latein, Freidanks Spruchsammlung "Bescheidenheit", lehrhafte Beispieltexte, Mären des Strickers, zwei lateinische Wissensbücher über den Aufbau der Welt und die Bedeutung der Liturgie, das "buoch von guoter spise" gefolgt von einem "Regimen Sanitatis" (Gesundheitslehre), Texten Konrads von Würzburgs, weiteren Gesundheitsregeln, Minnelehren, Liedersammlungen, Texten des Königs vom Odenwald und weiteren Spruchdichtungen, teils in Latein. Nach 1350 wurden weitere, hauptsächlich lateinische Texte nachgetragen. Darunter sind Gebete, medizinische Schriften, zwei Pesttraktate, Aderlaßregeln und ein Monatsregimen. Auch von Michael de Leone selbst verfaßte Texte sind zu finden sowie einige Abhandlungen zu lokal- oder reichspolitischen Ereignissen.
Dieses Hausbuch enthält somit ein Kompendium als nützlich angesehener geistlicher und weltlicher Literatur, fachdidaktische Werke, erbauliche geistliche und prosaische Literatur, medizinische Ratgeber, Minnelieder und die hier behandelte Rezeptsammlung.[3] Letztere ist zweigeteilt. Beide Teile sind unterschiedlich aufgebaut und gehen wahrscheinlich auf zwei wohl nicht mehr erhaltene Handschriftenvorläufer zurück. Der erste Teil enthält 57 teils numerierte und mit Überschriften versehene Rezepte, darunter auch zwei Scherzrezepte. Er scheint eher unsortiert, bestenfalls gelegentlich nach Assoziationslinien geordnet. Der zweite Teil besteht aus 44 nicht numerierten aber auch mit Überschriften versehenen Rezepten und ist grob in Fast- und Fleischspeisen unterteilt, wobei gelegentlich die Systematik bei den Fastspeisen durch Fleischgerichte unterbrochen wird. Weiters lassen sich Unterblöcke erkennen: Fischgerichte, Krapfen mit Obstfüllung, Obst- und Gemüsegerichte, Eiergerichte, Obstspeisen, Mandel- und Nußspeisen sowie Schaugerichte.
Die Herkunft des Kochbuches konnte bisher nicht geklärt werden, doch war bei der Abfassung sicherlich ein erfahrener Koch beteiligt, was der Aufbau und der teils recht knappe Inhalt der Rezepte verrät. Die Eingangsformel gibt als Zielgruppe „unverrihtige ko<e>che“ an. Über die Bedeutung dieser Formel wurde vielfach diskutiert und meist werden mit dem Begriff „unverrihtig“, der nach Trude Ehlert so viel wie „ungeordnet, nicht durch Recht und Gesetz festgesetzt“ bedeutet,[4] Köche in Verbindung gesetzt, die entweder zum ersten Mal mit schriftlich fixierten Rezepten arbeiten, oder die noch keine umfassenden Erfahrungen als Koch sammeln konnten.[5] Nach meiner Ansicht könnten allerdings auch Köche und Köchinnen gemeint sein, die schon langzeitige Erfahrung mit Küchenführung in fremden Haushalten haben, aber nie eine tatsächliche Ausbildung genossen haben. Das Buch würde somit meines Erachtens dazu dienen, nicht ausgebildete aber kocherfahrene Personen in die Lage zu versetzen, bisher ihnen unbekannte Gerichte der gehobeneren Küche nachzukochen. Ob dieses Buch je den Weg in die Küche gefunden hat, ist allerdings zweifelhaft. Die repräsentative Gestaltung und das unpraktische Format des Hausbuchbandes würden auf jeden Fall dagegen sprechen. Trude Ehlert zweifelt gar an, dass die zeitgenössischen Köche überhaupt lesekundig gewesen wären.[6] Mündliche Tradierung war nachgewiesener Maßen ein weitverbreitetes Phänomen unter mittelalterlichen Berufsköchen. Denkbar ist aus meiner Sicht, dass Michael de Leone die von ihm gewünschten Speisen vorlas und sich die für das Kochen zuständige Person die Anweisung merkte und später umzusetzen versuchte.
Zur Bearbeitung dieses Kochbuchs habe ich eine Excel-Datenbank erstellt, untergliedert in die Kategorien laufende Numerierung, Titel, Art des Gerichtes, erwähntes Gerät, Zutaten, Maß-/ Mengenangaben, Zeitangaben, Anmerkungen zu Auffälligkeiten, Angaben zur Konsistenz, eigene Transkription, Übersetzung, von mir entwickeltes Rezept. Mir ist durchaus bewußt, dass ein Teil dieser Arbeiten, vor allem diverse Transkriptionen und Übersetzungen, schon von anderen Forschern – z.B. von Melitta Weiss-Adamson – durchgeführt wurden. Doch habe ich festgestellt, dass ich durch das geschilderte Vorgehen zum einen eine bessere Kenntnis des Materials erlange und zum anderen auf Aspekte stoße, die bisher nicht oder nicht hinreichend genug behandelt wurden.
[1] Im Rahmen dieses Posts kann nur kurz auf diese Sammelhandschrift eingegangen werden, weitere Angaben sind zu finden bei: Brunner, Horst [Hrsg.]: Das Hausbuch des Michael de Leone (Würzburger Liederhandschrift) der Universitätsbibliothek München (2° Cod. ms. 731). Göppingen 1983; Ehlert, Trude: Das Bůch von gůter spîse: kulinarische Bedeutung and kulturhistorischer Wert. Begleitheft zum Faksimile von Tupperware Deutschland. Frankfurt 1993; Hajek, Hans [Hrsg.]: Das bůch von gůter spise. Aus der Würzburg-Münchener Handschrift neu herausgegeben. Berlin 1958; Hayer, Gerold [Hrsg.]: Daz buoch von guoter spîse. Abbildungen zur Überlieferung des ältesten deutschen Kochbuches. Göppingen 1976; Weiss-Adamson, Melitta: Daz bůch von gůter spise. (The Book of Good Food.). A Study, Edition and English Translation of the Oldest German Cookbook. Medium Aevum Quotidianum, Sonderband IX. Krems 2000.
[2] Zum Hausbuch: Ehlert (1993), 3; Weiss-Adamson (2000), 12-19; zu Michael de Leone: Ehlert (1993), 8-10; Weiss-Adamson (2000), 7-11.
[3] Zum bůch von gůter spîse: Ehlert (1993), 5-7; Weiss-Adamson (2000), 2-25, 33-54.
[4] Ehlert (1993), 7.
[5] Ehlert (1993), 7f; Weiss-Adamson (2000), 21-22.
[6] Ehlert (1993), 7f.