3. Das Hochmittelalter
Den Übergang zum Hochmittelalter bilden einige zeitlich und regional unterschiedlich einsetzende Neuerungen. Neben den politischen und sozialen Umbrüchen ist ein starker Bevölkerungsanstieg zu verzeichnen. Die Dreiständelehre teilte die Gesellschaft in Klerus, Streiter und Bauern/ Arbeiter ein. Dieses Gesellschaftsmodell gibt die damaligen Verhältnisse nur ungenügend wieder, da sich zur Zeit seiner Entstehung durch vermehrte Stadtgründungen gleichzeitig der "Stand" der Stadtbürger etablieren konnte, der davon nicht erfasst wurde. Auf wirtschaftlichem Gebiet kommen neue Pflugkonstruktionen, die Dreifelderwirtschaft, Verbesserungen im Mühlenwesen, der Viehzucht, dem Garten- und Obstbau hinzu. Begünstigt wurden die Prozesse durch die Besserung und Erwärmung des Klimas, dem mittelalterlichen Wärmeoptimum. Auch die Kirche konnte ihre Position festigen. Hierdurch ergaben sich tiefgreifende Einschnitte im Ernährungswesen. Alle Bevölkerungsschichten waren nun in der Wahl ihrer Nahrungsmittel stark durch die christliche Ethik und vor allem die Einhaltung der Fastenbestimmungen eingeschränkt.
Trotz starker Rodungstätigkeit und Erschließung unwirtlichster Lebensräume mit schlechten Böden und hoch in den Gebirgen, reichten die Ackerflächen schon bald nicht mehr zur Ernährung der vielen Menschen aus. Dies führte zu teils sogar herrschaftlich organisierten Auswanderungswellen in noch relativ spärlich besiedelte Gebiet im angrenzenden Osten - dem heutigen Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei, in beschränktem Maße sogar Ungarn -, die sogenannte "Ostsiedlung" nahm ihren Lauf.
Das Getreide wurde zur unangefochtenen Nahrungsgrundlage und der Prokopf-Verbrauch stieg auf ca. 240-300 kg jährlich. Breispeisen und Brot aus Gerste, Roggen und Hafer waren in allen Bevölkerungskreisen weit verbreitet. Weizen blieb Luxusobjekt, vor allem in seinen besseren Qualitätsstufen. Durch die starke Abholzung der Wälder, die Umnutzung von Weiden und den vermehrten Anbau von Getreide - die Wissenschaft spricht von "Vergetreidung" - gingen wichtige Futtermittel für das Vieh verloren. Damit nahm die Verfügbarkeit tierischer Produkte und deren durchschnittlicher Verbrauch ab. Auch Jagd, Fischfang und Sammelwirtschaft wurden durch die Rodungen stark beeinträchtigt. Der Adel brachte die Fischerei- und Jagdrechte weitestgehend an sich, um die Jagd als wichtigstes Freizeitvergnügen für sich sicherzustellen. In Regionen, die nicht besonders gut für den Ackerbau geeignet waren und in denen deshalb Milch und Viehwirtschaft dominierten wie im Norden Deutschlands oder in den Alpen, blieb der Fleischverbrauch jedoch relativ konstant.
Durch den enormen Bevölkerungsanstieg und die Umstellung auf Zerealienwirtschaft wurde das Nahrungswesen allerdings besonders anfällig für äußere Einflüsse wie schlechtes Wetter, Krieg und dergleichen. Häufige kleinere regional begrenzte aber auch schwere europaweit zu verzeichnende Hungersnöte nahmen in der Folge stark zu und oft waren hohe Opferzahlen zu beklagen. Eine Weitere Folge der Getreidenahrung war das ab dem 11. und 12. Jh. teils epidemieartig um sich greifende Antoniusfeuer. Es handelt sich dabei um eine Erkrankung die durch eine Vergiftung mit Mutterkorn - einem auf Getreide wachsenden schmarotzenden Pilz - verursacht wird.
Durch die Klimaverbesserung erlebten auch Obst und Weinbau eine entscheidende Ausweitung. Die nördlichsten europäischen Reblagen konnten bis auf Höhe von York vorgetrieben werden. Selbst in Südschweden wurde Wein produziert.
Ähnlich wie zum Frühmittelalter liegen auch für das Hochmittelalter nur beschränkte Quellen zum Küchenwesen vor. Minnesang und höfische Romane, die das Leben bei Hofe beschreiben und verherrlichen sowie den Ritterethos stark prägen, kommen in Mode. Meist begnügen sich die Autoren allerdings mit der Nennung einiger prestigeträchtiger Zutaten und Gerichte, der Darstellung der schieren Menge an aufgetragenen Gerichten und der Beteuerung, dass alles vortrefflich und auf das Kostbarste zusammengestellt war. Gerichte oder sogar Rezepte sind nur selten näher bestimmbar. Auch die den Romanen beigefügten Illuminationen sind wenig hilfreich.
Als Neuerung tritt vor allem in wohlhabenden Küchen der kniehohe gemauerte "Tischherd" auf. Das Kücheninventar wird reichhaltiger, es entwickeln sich z.B. immer ausdifferenziertere, besser an die verschiedenen Zwecke angepasste Keramikformen. Der Bestand an Metallgerät nimmt selbst in ärmeren Kreisen zu, auch wenn Metall in Küche und bei Tisch immer noch Zeichen gewissen Wohlstandes bleibt.
Durch die Kreuzzüge, die muslimische Besetzung Spaniens und den muslimischen Teil der Bevölkerung des normannischen Königreiches Sizilien kommen die Adligen mit der Küche des Orients und fremdartigen Gewürzen in Kontakt, wodurch der Handel mit exotischen Würz- und Nahrungsmitteln wieder Aufschwung erhält. Wie groß der Einfluss der muslimischen Küche auf die europäische tatsächlich war, lässt sich bisher immer noch nicht richtig abschätzen. Hochmittelalterliche Rezepte liegen kaum vor. Einige Einzelüberlieferungen in lateinischer Sprache sind den Gesundheitslehren zu entnehmen. Viele dieser Gesundheitslehren gehen auf islamische medizinische Literatur zurück. Die in den Übersetzungen des Abendlandes überlieferten Rezepte könnten somit eventuell muslimische Vorbilder haben. Inwieweit diese bei uns nachgekocht wurden, lässt sich heute nicht mehr klären.